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Der Israelsonntag

Esther StoschAm Neuen Börneplatz in Frankfurt sind rund 12.000 Steine mit Namen in die Friedhofsmauer eingelassenen, auf denen die Namen deportierter und ermordeter Juden stehen.
Am Neuen Börneplatz in Frankfurt sind rund 12.000 Steine mit Namen in die Friedhofsmauer eingelassenen, auf denen die Namen deportierter und ermordeter Juden stehen.

Elf Wochen nach Pfingsten ist Israelsonntag. An diesem Sonntag stand seit jeher das Verhältnis zwischen Christen und Juden im Mittelpunkt. Früher versuchten Christen Juden zur Taufe zu bewegen. Heute nutzt die Kirche den Tag, ihrer eigenen Schuld bei der Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten zu gedenken.

Wie der christliche Glaube ist auch der „Israelsonntag“ jüdischen Ursprungs. Er wird am zehnten Sonntag nach Trinitatis begangen, elf Wochen nach Pfingsten. Damit liegt er in zeitlicher Nähe zum 9. Tag des jüdischen Monats Aw. An diesem Tag wird im Judentum der Zerstörung sowohl des salomonischen Tempels durch die Babylonier 586 vor Christus als auch des herodianischen Tempels durch die Römer im Jahr 70 nach Christus gedacht.

Früher ging es um Judenmission

Schon im Mittelalter gab es den „Israelsonntag“. Er wurde bis in die 1960er Jahre auch „Judensonntag“ genannt. Der Name ist Programm: Fokus war lange die Judenmission, also die Bekehrung von Jüdinnen und Juden zum Glauben an Jesus als den Messias und Sohn Gottes. Evangelium des Sonntags ist nach alter Ordnung Lukas 19, 41-48. Darin weint Jesus über Jerusalem. Diese Lesung wurde oft antijudaistisch gedeutet: Jerusalem und der jüdische Tempel seien „als Rache für den Tod Jesu“ zerstört.

Holocaust führt zu Umdenken

Nach der Shoa (der jüdische Begriff für den Holocaust) und dem Zweitem Weltkrieg setzte in der evangelischen und katholischen Kirche ein Umdenken ein. Der jahrhundertealte Antijudaismus in den Kirchen wurde thematisiert, der jüdische Glaube als Wurzel des Christentums neu entdeckt. So spricht man heute vom „Israelsonntag“.

Der Israelsonntag gibt Gelegenheit, im Gottesdienst der christlichen Schuldgeschichte zu gedenken. Er macht bewusst, wie das Neue Testament aus der Glaubensgeschichte Israels als Gottes erwähltem Volk schöpft. Als Evangelium des Sonntags wird deshalb auch Markus 12, 28-34 vorgeschlagen: Jesus bekräftigt als höchstes Gebot das „sch'ma Jisrael“, das Glaubensbekenntnis Israels: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“ Violett ist die Liturgische Farbe des Israelsonntags, das ist die Farbe für Buße und Veränderung. 

Israelsonntag als Tag gegen Antisemitismus und Rassismus

Die EKHN ruft ihre Kirchengemeinden dazu auf, den Israelsonntag zu nutzen, um jeglicher Form des Antisemitismus und Rassismus entgegenzutreten. Unter dem Deckmantel der politischen Empörung wird offenbar ein neuer Antisemitismus in Deutschland wieder salonfähig. Christinnen und Christen sind hier besonders gefordert, ihre Solidarität gegenüber Jüdinnen und Juden auszudrücken. Denn die Verbundenheit mit dem Judentum ist ein Wesenszug des christlichen Glaubens. Dies kommt im Grundartikel der EKHN zum Ausdruck: „Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen bezeugt sie (die EKHN) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“

Kirche soll sich von antijüdischen Schriften Luthers distanzieren

Die EKHN erinnert daran, dass die diskriminierenden Aussagen des Reformators Martin Luther in seinen späten Schriften dem Antisemitismus den Boden bereitet hätten. Es steht der Evangelischen Kirche in Deutschland deshalb gut an, sich von Martin Luthers antijüdischen Äußerungen deutlich zu distanzieren.

[Martin Vorländer]

© Multimediaredaktion ekhn.de

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